Wieviel Kapitalismuskritik braucht die Debatte über Nachhaltige Entwicklung?

Im politischen Mainstream scheint das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie geklärt: Engagierter Umweltschutz ist auch ein Wirtschaftsmotor. Mit einer "Grünen Ökonomie" oder "Grünem Wachstum" lässt sich nicht nur die Welt retten, sondern auch noch der Wohlstand erhöhen. Das ist die dominante Überzeugung fast aller demokratischen Parteien von den Grünen bis in konservative Kreise. Angesichts dieser angenommenen Synergien verwundert es dann, dass das Wachstum der globalen Ökonomie auch in den letzten 20 Jahren mit mehr und nicht mit weniger globaler Umweltbelastung einherging und ein Trendbruch nicht zu erkennen ist.

 

Es mehren sich daher die Stimmen, die dafür sensibilisieren, dass grundlegende Prinzipien der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit den Zielen eines globalen Erdsystemschutzes im Widerspruch stehen: von der zwangsläufigen ökologischen "Landnahme" öffentlicher Güter bis hin zu den inhärenten Wachstumszwängen kapitalistischer Geldwirtschaften. Die kanadische Umwelt-Aktivistin Naomi Klein hat diese Debatte 2015 mit ihrem Buch "Die Entscheidung: Klima vs. Kapitalismus" besonders zugespitzt auf den Punkt gebracht. Lässt sich globaler Klimaschutz in der aktuellen Wirtschaftsordnung tatsächlich nicht verwirklichen?

 

Ein aufgeklärter Nachhaltigkeitsdiskurs kommt um das Aufgreifen dieser Frage nicht herum. Eine Transformationsforschung für eine Nachhaltige Entwicklung muss sich auch mit den systemischen Mechanismen unseres Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Das gilt umso mehr, wenn sie das unter dem Titel "Great Transformation" von Karl Polanyi macht, der 1944 mit seiner "Great Transformation" eine der brilliantesten Analysen eines sich entbettenden Kapitalismus vorgelegt hat.

 

Das ist der Grund, warum wir im Buch zur "Großen Transformation" der Frage "Nachhhaltige Entwicklung und die Transformation des modernen globalen Kapitalismus" ein ganzes Kapitel widmen (Kapitel 6). Wir greifen dort zentrale Stränge der modernen Kapitalismuskritik auf und zeigen, wie die dabei deutlich werdenden Entbettungsmechanismen die Entkopplung von Wohlstand und Naturverbrauch erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen (vgl. Abbildung): Die dysfunktionalen Effekte reichen von systemischen Mechanismen zur Ausbeutung ökologischer Ressourcen ("Ökologische Landnahmen") über inhärente Wachstumszwänge bis hin zu Mechanismen der Destabilisierung moderner Demokratien und den psychologischen Anpassungsmechanismen an die Leistungserwartungen moderner Marktgesellschaften (Kolonialisierung der Lebenswelt). Am Beispiel der Mobilität machen wir deutlich, wie alle diese Mechanismen sich auch in einzelnen Wirtschaftsektoren zeigen lassen.

 

Eine aufgeklärte Transformationsforschung muss sich diesen Entwicklungen stellen. Die politische Schlüsselfrage besteht darin, ob die Beherrschung dieser Effekte durch eine systematische Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsordnung möglich ist oder eine massive Systemveränderung benötigt. Im Buch sind wir optimistisch. Wir gehen von der Idee eines "radikalen inkrementellen Wandels" (Göpel) aus, der dem Wirtschaftssystem durch viele kleine Veränderungsschritte am Ende ein völlig anderes Gesicht gibt, und zeigen eine Reihe von Ansätzen dafür auf.