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Europäische Zukunftskunst: Von der Wachstums-Union zur Wohlstands-Union? Wie die Wohlstandswende in der EU gelingen kann

Ein Gastbeitrag von Katharina Bohnenberger, Wuppertal Institut

 

Die EU wurde als Wirtschaftsunion gegründet, um nach dem zweiten Weltkrieg durch industrielle Kooperation über Landesgrenzen hinweg den Frieden in Europa zu sichern. Wirtschaftliche Fragen bestimmen auch noch heute die Agenda der EU. Während die EU inzwischen über eine gemeinsame Währung verfügt, hinkt sie in der gemeinsamen Beantwortung sozialer Fragen hinterher.

 

Anstelle einer gemeinsamen Politik in diesen Feldern wird sozialer Zusammenhalt (social cohesion) durch Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit angestrebt: Das 2010 in der Lissabon-Strategie gesetzte Ziel „to become the most competitive and dynamic knowledge-based economy in the world capable of sustainable economic growth with more and better jobs and greater social cohesion.“ wurde zwar größtenteils verfehlt und 10 Jahre später  in der Europe 2020 Strategie durch das moderatere Ziel von "smart, sustainable, inclusive growth" ersetzt (EC 2015). Wachstum, Beschäftigungssteigerung und Wettbewerbsfähigkeit bestimmen aber immer noch die Agenda der EU und scheinen das einzige Mittel zum Zusammenhalt Europas zu sein. 

 

In ihrem offenen Brief an die EU erläutern Wissenschaftler*Innen aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten der EU warum diese Ausrichtung unrealistisch und wohlstandsgefährdend ist:

  • Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch kann nicht ausreichend entkoppelt werden, sodass es keine ökologische Nachhaltigkeit bei kontinuierlicher Wachstumssteigerung geben kann.
  • Der Fokus auf Wirtschaftswachstum lenkt davon ab, dass Wohlstand in Europa keine Frage der Produktionsmengen, sondern eine der Verteilung von Einkommen und Vermögen ist.
  • Durch Marktsättigung und sinkende Produktionszuwächse wird Wirtschaftswachstums immer schwieriger zu realisieren.

Die Wissenschaftler*innen fassen zusammen:„Dieses aggressive Streben nach Wachstum um jeden Preis spaltet die Gesellschaft, schafft wirtschaftliche Instabilität und untergräbt die Demokratie.“

 

Die Zukunft Europas bestimmt sich deswegen auch an der Herausforderung, ob es gelingt ein gemeinsames Europa – auch ohne Wirtschaftswachstums, Beschäftigungssteigerung und Wettbewerbsfähigkeit    zu gestalten: Wie kann die EU wachstumsunabhängig Wohlstand für ihre Bürger ermöglichen?

 

Seit 2011 beschäftigt sich die Europäische Kommission in der Arbeitsgruppe „Beyond GDP“ mit der Messung von Wohlstand in der EU über konventionelle Wohlstandsindikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt (GDP) hinaus. Doch vom Messen allein geschieht noch keine Veränderung. Die Forderung der Wissenschaftler*Innen der offenen Briefes nach einer Sonderkommission für „Post-Growth-Futures“ und der Transformation des „europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt“ in einen „europäischen Stabilitäts- und Wohlstandspakt“ weisen neue Wege wie die Wohlstandswende in der EU institutionalisiert werden kann.

 

Das Wuppertal Institut forscht seit vielen Jahren an der Wohlstandswende. Wie eine Wohlstandswende politisch-institutionell und ökonomisch gelingen kann, wird im Kapitel „Wohlstands- und Konsumwende“ der „Großen Transformation – Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“ zusammengefasst. Drei Ansätze sind insbesondere für europäische Belange von Interesse: 

  • Suffizienz als sozialverträgliche Nachhaltigkeitsstrategie neben technologischen Effizienzmaßnahmen.
  • Wirtschaftsförderung 4.0, die nachhaltige Unternehmen und regionale Wertschöpfungsketten fördert.
  • Nachhaltige Arbeitspolitik, die ökologische tragfähige Lebensstile ermöglicht.

Im Rahmen der Post-Growth-Konferenz (https://www.postgrowth2018.eu/) diskutieren diese Woche Entscheidungsträger*innen und Wissenschaftler*innen in Brüssel über diese Themen und die Zukunft der EU ohne Wirtschaftswachstum. Es bleibt spannend, ob sich die EU noch zur wachstumsunabhängige Zukunftskünstlerin entwickelt.