Von der "Welt im Wandel" zur "Zukunftskunst" – Ein Blick auf sieben Jahre Diskurs zur "Großen Transformation" für eine Nachhaltige Entwicklung

Das im August 2018 im Fischer-Verlag erschienene Buch "Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels" nimmt unmittelbar Bezug auf das im Jahr 2011 vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) veröffentlichte Hauptgutachten "Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation". Mit der Referenz auf die "Große Transformation" lehnen sich beide Publikationen an Karl Polanyis Werk zur "Great Transformation" aus dem Jahr 1944 an.

 

Das 2011er-Gutachten des WBGU hat die deutsche Nachhaltigkeitsdebatte stark beeinflusst und z.T. kontroverse Debatten ausgelöst. Das jetzt im Fischer-Verlag veröffentliche Buch präsentiert den Zugang zur "Großen Transformation" in der Lesart des Wuppertal Institutes und veröffentlicht ihn in einer Buch-Reihe, die seit Jahren erfolgreich Schlüsselbegriffe und –konzepte des Nachhaltigkeitsdiskurses für ein breiteres interessiertes Publikum zugänglich macht (Vgl. die Reihe Forum für Verantwortung im Fischer-Verlag: https://www.fischerverlage.de/themen/forum_fuer_verantwortung).

 

Vor dem Hintergrund lohnt der Blick auf die Gemeinsamkeiten der 2011 und 2018 erschienen Publikationen, genauso wie der auf die Unterschiede und Weiterentwicklungen. Zudem ist das "Doppelpack" aus WBGU-Gutachten und populärwissenschaftlichen Buch ein interessantes Experiment zur Impact- und Reichweitenerhöhung der Arbeit wissenschaftlicher Beiräte wie dem WBGU.

 

Zu den Gemeinsamkeiten von "Welt im Wandel" und "Zukunftskunst"

 Das WBGU-Gutachten 2011 und das Buch des Wuppertal Institutes sind durch viele gemeinsame Linien getragen:

·       Beide stellen die umfassenden technologischen, ökonomischen und institutionellen Transformationsprozesse auf dem Weg zu einer Nachhaltigen Entwicklung ins Zentrum ihrer Analyse und bezeichnen diese mit dem Begriff der "Großen Transformation"

·       Beiden Büchern liegt eine ähnliche Theorie gesellschaftlichen Wandels zugrunde. Der WBGU stützt sich insbesondere auf die Idee eines akteursorientierten Institutionalismus (S. 90-91), das Wuppertal Institut arbeitet mit einem strukturationstheoretischen Fundament (A. Giddens) und damit ebenfalls mit Theorien, die die Bedeutung von Akteuren in Transformationsprozessen betonen, ohne dabei mit Blick auf Strukturen und systemische Dynamiken naiv zu sein. Vor dem Hintergrund spielen in beiden Studien "Pioniere des Wandels" eine zentrale Rolle.

·       In beiden Arbeiten wird dabei einer neuen Rolle der Wissenschaft (Stichwort: "Transformative Forschung/Wissenschaft") eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

·       Die zentralen behandelten Transformationsarenen (Energie, Ressourcen, Städte, Mobilität, Ernährung, Industrie) ähneln sich weitgehend, wenn sie auch jeweils unterschiedlich strukturiert werden.

 

Neue Akzentuierungen in der Zukunftskunst

Das WBGU-Gutachten 2011 ist vor der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens und insbesondere der Sustainable Development Goals (SDG´s) im Jahr 2015 erschienen (aber auch vor der Zunahme populistischer Dynamiken in Europa und den USA). Zudem war es im Buch im Fischer-Verlag möglich, einige Weiterentwicklungen des Transformationsverständnisses des WBGU aus dem im Jahr 2016 erschienenen Urbanisierungsgutachten aufzunehmen.

 

Dadurch enthält das Fischer-Verlags-Buch einige neue Akzentuierungen:

·       Die kulturelle Ebene im Transformationsprozess zu einer Nachhaltigen Entwicklung wird besonders stark gemacht. Mit dem Begriff der "Zukunftskunst" wird ein neuer Begriff in die Debatte eingebracht, der einiges von dem aufnimmt, was der WBGU in seinem Urbanisierungsgutachten mit der Dimension der "Eigenart" anlegte: Nämlich die mögliche und notwendige Vielfalt der Ausgestaltung nachhaltiger Entwicklungsprozesse und das damit verbundene kreative und identitätsstiftende Moment.

·       Im Buch des Wuppertal Institutes nimmt die explizite Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld von Nachhaltiger Entwicklung und modernen Kapitalismus einen großen Raum ein. Das Buch nimmt damit sehr viel expliziter die mit der Referenz auf Karl Polanyi naheliegende Kapitalismuskritik auf, als es das 2011er-Gutachten des WBGU getan hat.

·       Gleichzeitig setzt sich das Buch des Wuppertal Institutes sehr viel intensiver mit der Rolle von Unternehmen in der Großen Transformation auseinander und erhebt den Anspruch, Bausteine einer neuen Theorie der Unternehmung in die Diskussion einzubringen.

·       Weitere Akteursgruppen, die im WBGU-Gutachten nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, insbesondere die Kirchen, werden im Buch des Wuppertal Institutes intensiv gewürdigt. Hier kann u.a. auf die Wirkerfahrungen der päpstlichen Enzyklika Laudato Si aus dem Jahr 2015 zurückgegriffen werden.

 

Komplementarität in der Form

Der wichtigste Aspekt bei der Betrachtung beider Publikationen ist ihre komplementäre Form: Hier ein umfassendes, von einem Wissenschaftlichen Beirat ausgearbeitetes Gutachten, da ein von einem führenden Nachhaltigkeits-Thinktank in einer populärwissenschaftlichen Reihe veröffentlichtes Buch.

 

Für sein 2011er-Gutachten hat der WBGU bis dahin nicht dagewesene Kommunikationsmaßnahmen zur Diffusion ergriffen: U.a. das Erstellen eines eigenen Comics und eines Comic-Films zum Buch, die Aufnahme einer ganzen virtuellen Lehreinheit zum Buch. Dennoch sind den Kommunikationsmöglichkeiten eines Wissenschaftlichen Beirates Grenzen gesetzt, spätestens, wenn das nächste große Folgegutachten ansteht. Hier verfügt ein wissenschaftliches Institut über mehr Möglichkeiten und Freiräume. Ein grundlegender konzeptioneller Bezugsrahmen kann über Jahre das Dach für künftige Projekte und Publikationen liefern. Dies rechtfertigt dann auch ein noch stärkeres Engagement in der kommunikativen Begleitung eines solchen Buchprojektes.

 

Schaut man auf die Grundlagenthemen, die der WBGU immer wieder aufgreift, wie z.B. die Fragen nachhaltiger Urbanisierung (2016) oder aktuell das Verhältnis von "Digitalisierung und Nachhaltigkeit" (Erscheinungsdatum 2019) wäre zu überlegen, ob die Kombination von WBGU-Hauptgutachten und einer begleitenden populärwissenschaftliche Aufarbeitungen eine Strategie für eine noch stärkere Diffusion der Arbeit wissenschaftlicher Beiräte in den gesellschaftlichen Diskurs sein kann. 

 

In diesem Sinne versteht sich das Wuppertal Institut-Buch zur Großen Transformation explizit als ein Experiment im Rahmen einer "transformativen Wissenschaft", die nach neuen Wegen der Impact-Erhöhung wissenschaftlicher Reflexion in gesellschaftlichen Debatten sucht.